Alpenrhein

Der Alpenrhein: Vom Naturjuwel zum gebändigten Kanal – und wieder zurück

Der wilde Hinterrhein (©Christian Göldi)
Der wilde Hinterrhein (©Christian Göldi)

Wild und unberechenbar

Der Alpenrhein – so wird der 90 km lange Abschnitt vom Zusammenfluss des Vorderrheins mit dem Hinterrhein bei Reichenau-Tamins bis zur Einmündung in den Bodensee genannt – war einst ein Naturjuwel, ein Lebensraum für unzählige Pflanzen- und Tierarten. Doch er war auch wild und unberechenbar, wechselte ständig seinen Lauf und überschwemmte regelmässig das Landwirtschaftsland. Auch in den Dörfern richtete er immer wieder grosse Schäden an. So ist es verständlich, dass die Menschen den Fluss als Bedrohung sahen und ihre Felder und Dörfer gegen die Launen der Natur schützten.
Was als „Rheinregulierung“ im 19. Jahrhundert ein Pionierwerk war, empfinden wir heute allerdings als Vergewaltigung der Natur. Über 500.000 Menschen wohnen, arbeiten und leben im 90 Kilometer langen Alpenrheintal – von Reichenau bis zum Bodensee. Ihre Sicherheit und ihr Bedürfnis nach Siedlungs- und Wohnraum scheint den Ansprüchen von Pflanzen und Tieren weitgehend zu widersprechen.

Gebändigte Naturgewalt

So ist der einst so mächtige Alpenrhein heute im Wesentlichen ein gebändigter, unnatürlicher Kanal. Er ist „fast durchgehend reguliert und durch Hochwasserschutzdämme von seinen Nebengewässern und den Auwäldern abgetrennt. Die Zuflüsse sind im Mittel- und Unterlauf zu Binnenkanälen zusammengefasst. Die wenigen verbliebenen Mündungen sind wegen der Sohleintiefung des Alpenrheins grossteils für Fische unpassierbar. Die Zuflüsse sind durch menschliche Eingriffe wesentlich beeinträchtigt. Tägliche Wasserspiegelschwankungen durch die Wasserkraftnutzung beeinträchtigen zusätzlich die Funktionsfähigkeit der verbliebenen aquatischen Lebensräume und den Erholungswert des Flusses. Der Verlust der Gewässervielfalt führte zum Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten und zu Bestandsreduzierungen bei den verbliebenen Arten.“ (Kurzbericht Entwicklungskonzept Alpenrhein, S.2).

Kanalisierter Alpenrhein (©Frank Schulze / Zeitenspiegel)
Kanalisierter Alpenrhein (©Frank Schulze / Zeitenspiegel)
So könnte der Rhein bei Vaduz/Sevelen aussehen (©WFZ)
So könnte der Rhein bei Vaduz/Sevelen aussehen (©WFZ)

Packen wir die Zukunft jetzt an

Entlang des Rheins gibt es eine erfreuliche Vielzahl revitalisierter Gewässer. Die erhofften Erfolge sind meist schnell eingetreten: mehr Pflanzen- und Tierarten – und diese in einer grösseren Anzahl.

Am Alpenrhein warten wir noch auf die Rückkehr der Natur. Hier findet man derzeit nur noch eine einzige naturnahe Auenlandschaft – die Mastrilser Auen.

Eine ernsthafte Revitalisierung im Sinne einer Öffnung des kanalisierten Flussbettes gibt es in Chur-Felsberg/Grau­bünden. Zudem wurden einige Gewässer­mün­dungen natur­naher gestaltet.

Die heutigen Dämme sind über 130 Jahre alt, sie sind unsicher geworden. Deshalb wird im Projekt „Rhesi“ (Rhein, Erholung, Sicherheit) von der Illmündung bis zum Bodensee ein Generationenprojekt für die Aufweitung des Rheins und die Stabilisierung der Dämme umgesetzt.

Lebensräume für Mensch und Natur

Die liechtensteinische Regierung hat mitgeteilt, dass die Sanierung der in die Jahre gekommenen Liechtensteiner Rheindämme in den nächsten 20 Jahren 50 Mio. Franken kosten wird. Wenn man nun dem Fluss mehr Raum gibt und weiter ins Land versetzte neue, nach heutigem Wissen konstruierte Dämme aufbaut, dann entsteht viel Raum für Natur und Erholung.Menschen können baden, sich erholen, Feste feiern. Für Tiere und Pflanzen entstehen neue, hochwertige Lebensräume.

Und sozusagen „nebenbei“ erhalten wir dank neuer Dämme mehr Sicherheit gegen Hochwasser.

Ticino (I): so könnte es am Alpenrhein aussehen (©Susanne Muhar)
Ticino (I): so könnte es am Alpenrhein aussehen (©Susanne Muhar)